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Dörfer aus dem Dornröschenschlaf wecken

Wo seht ihr euer Dorf in zehn Jahren? Welche Weichen müssen gestellt werden? Welche Ideen habt ihr? Gerd Brüls ist Experte, wenn es um das Thema „Dorfentwicklung“ in Ostbelgien geht. Und er kommt vorbei, wenn ein Dorf seine Hilfe braucht. Der 41-jährige Sozialpädagoge ist seit neun Jahren für die Ländlichen Gilden als Bezirksleiter tätig. Nicht selten ist er neben seiner eigentlichen Funktion als Bildungsreferent auch Motivator, Ideengeber und Schlichter. Sein Credo: Anpacken, nicht nörgeln. „Wenn sich die Bewohner eines Dorfes zusammentun und auf den Weg machen, ist schon viel erreicht“, erklärt Brüls. Er selbst ist im südlichen Teil Ostbelgiens aufgewachsen und nach seinem Studium in Köln und ersten Tätigkeiten in Schleswig-Holstein wieder zurückgekehrt in die Heimat. Mit seiner Familie lebt er nun in Lontzen.

Einsatz fürs Dorf

Die „Ländlichen Gilden – Verein für Bildung, Dorf und Land VoG“ mit Sitz in St. Vith ist aus dem belgischen Bauernbund hervorgegangen und hat sich zu einer anerkannten Erwachsenenbildungsorganisation in Ostbelgien entwickelt. Dessen Bildungsprogramm steht allen Menschen in Ostbelgien offen – auch im Bereich „Dorfentwicklung“. Hierbei sollen Menschen, die im ländlichen Raum leben, dazu befähigt werden, den Lebensbereich „Dorf“ aktiv mitzugestalten und diesen zukunftsfähig zu machen. „Das kostet oft wenig oder gar kein Geld, sondern lediglich Einsatz. Alt und Jung können sich gleichermaßen einbringen“, so Brüls. Der Startschuss fiel mit dem sogenannten Dorfentwicklungspreis, den die Ländlichen Gilden seit dem Jahr 2005 Jahr für Jahr begleiten. So sind bereits Workshops zur Erhaltung des Dialekts entstanden, alte Fußwege reaktiviert worden, Schautafeln zur Geschichte eines Dorfes erstellt worden und alte Wegekreuze oder Viehtränken wieder instandgesetzt worden.

Digitalisierung in den Kinderschuhen

Mit rund 135 Dörfern ist Ostbelgien ländlich geprägt. Es gibt größere Dörfer, die über eine sehr gute Infrastruktur verfügen. Es gibt aber auch kleine Weiler mit unter 100 Einwohnern, wo es nicht einmal einen Dorfsaal gibt. Oft muss Gerd Brüls Themen ins Spiel bringen, an die viele noch gar nicht denken, die aber in Zukunft enorm wichtig sein werden. Zum Beispiel die Digitalisierung. „Hier stehen wir in Ostbelgien noch am Anfang“, so Brüls. „Wenn es nur drei Stunden pro Tag Strom geben würde, würde hier keiner ein Haus kaufen. Die Digitalisierung hat mittlerweile einen ähnlich hohen Stellenwert. 25 MB/sek reichen da aber nicht aus“, bemängelt Brüls. Demgegenüber stehen die vielen Vorzüge der Region.

„Meine Eltern haben immer gesagt, dass die Nachbarn mit die wichtigsten Menschen sind. Diesen Zusammenhalt spürt man auch heute noch in unseren Dörfern“, Gerd Brüls, Berzirksleiter Ländliche Gilde

„Meine Eltern haben immer gesagt, dass die Nachbarn mit die wichtigsten Menschen sind. Diesen Zusammenhalt spürt man auch heute noch in unseren Dörfern“, so Brüls. Nicht zu vergessen die einzigartige Mischung aus Savoir-vivre und deutscher Gründlichkeit. „In meinem Studium bin ich oft gefragt worden, ob ich in verschiedenen Ländern gelebt habe“, schmunzelt Brüls. „Ich habe dann immer geantwortet: Wenn man in einer Grenzregion wie Ostbelgien aufwächst, ist man es gewohnt, mit verschiedenen Mentalitäten und Sprachen zu jonglieren. So wird man automatisch im alltäglichen Leben zum Kosmopoliten.“